Selbstständigkeit klingt nach Freiheit.
Nach eigenen Entscheidungen, flexiblen Tagen und dem Gefühl, endlich das eigene Ding zu machen.
Und ja – das stimmt.
Aber eben nicht vollständig.
Denn über einen Teil wird selten gesprochen.
Nicht, weil er geheim ist.
Sondern weil er nicht gut in Hochglanz-Geschichten passt.
Freiheit heißt nicht nur dürfen – sondern ständig müssen
Ich wollte schon immer selbstständig sein.
Meine eigene Chefin sein und selbst entscheiden können, wie ich arbeite, mit wem und in welche Richtung sich meine Firma entwickelt.
Diese Freiheit war immer unglaublich reizvoll, zumal ich sowieso gerne selbständig arbeite.
Und sie ist bis heute einer der Gründe, warum ich diesen Weg gehe.
Nach über drei Jahren mit meiner Werbeagentur kann ich sagen:
Ich bin immer noch gerne selbstständig – aber nicht mehr so euphorisch, wie am Anfang.
Denn Freiheit bedeutet auch:
Ich kann entscheiden. Nein – ich muss entscheiden.
Es gibt niemanden sonst, der es für mich tut.
Du kannst dir alles aussuchen – theoretisch
„Du kannst dir deine Kund:innen und Aufträge aussuchen.“
So heißt es oft.
In der Realität stimmt das nur zum Teil.
Würde ich nur das machen, worauf ich gerade Lust habe, oder mit wem ich es gerne machen würde, könnte ich die Agentur zusperren – ein Irrglaube.
Selbstständigkeit ist (großteils) kein Wunschkonzert.
Sie ist ein ständiges Abwägen zwischen Wirtschaftlichkeit, Verantwortung und eigenen Grenzen.
Wir sind meistens alles – nicht nur Unternehmer:in
Was kaum jemand offen sagt und mir erst im ersten Jahr so richtig bewusst wurde:
Als Einzelunternehmerin bist du nicht nur Chefin.
Du bist gleichzeitig
Sekretärin,
Assistentin,
Buchhalterin,
Marketingabteilung,
Verkäuferin,
Handelsreisende,
Putzfrau
– und danach wieder Chefin.
Alles läuft bei dir zusammen.
E-Mails, Angebote, Rechnungen, Social Media, Kundenkommunikation, Organisation, Büroalltag.
Das fordert nicht nur Zeit. Es fordert ständig einen Rollenwechsel im Kopf, der mir am Anfang viele Schwierigkeiten bereitet hat. Ich wollte doch nur kreativ arbeiten und Webseiten designen und nicht stundenlang Bürokram machen!
Du willst strategisch denken, beantwortest aber zwischendurch Mails.
Du bist gerne kreativ, doch zuerst müssen Rechnungen raus und der Papierkram erledigt werden.
Du planst Marketing und putzt nebenbei das Büro.
Das ist kein Organisationsproblem.
Das ist selbstständige Realität von Einzel- und KleinunternehmerInnen, die sich keine Unterstützung leisten wollen oder (noch) nicht können.
Krank sein, frei haben – und trotzdem verantwortlich
Wenn wir krank sind, gibt es keinen klassischen Krankenstand. Wir müssen schauen, wie wir neben Schnupfen, Fieber und Schüttelfrost die wichtigen Sachen am Laufen halten.
Gerade in meinem Alter – ich bin knapp über 50 – beginnt körperlich wie auch seelisch ein neuer Abschnitt. Die Menopause. Und ja, die macht mir manchmal ganz schön zu schaffen.
Und die vielgelobte Freiheit funktioniert auch nicht ganz so. Ja, ich kann mir an einem sonnigen Tag frei nehmen.
Aber ich arbeite dafür abends oder an Wochenenden länger. Nicht, weil jemand es verlangt – sondern weil ich es niemandem abgeben kann und es ja gemacht werden muss!
Treffe ich eine falsche Entscheidung, haftet nicht „die Firma“. Dann hafte ich.
Nicht mein Chef. Nicht ein Team. Ich.
Und meine Einnahmen gehören auch nicht zu 100 % mir.
Ein großer Teil geht weiter – an SVS, Finanzamt und Abgaben. Die vielen Abzüge sind einem als Angestellte so gar nicht bewusst.
Und ja, ich könnte jedes Mal heulen, wenn diese Überweisungen rausgehen.
Und privat? Da hört es ja nicht auf.
Denn neben dem Business läuft auch das Leben weiter.
Viele Selbstständige, vielleicht auch du, sind zusätzlich Mütter. Oder Väter.
Sie versorgen Kinder, organisieren Termine, Haushalt und Alltag – oft parallel zum Arbeiten.
Zwischendurch wird gekocht, begleitet, getröstet, organisiert.
Während Mails beantwortet werden.
Während Deadlines im Kopf mitlaufen.
Während der Kopf eigentlich längst voll ist.
Selbstständigkeit endet nicht um 17 Uhr.
Und Verantwortung ist nicht nur beruflich da.
Das alles passiert meist still.
Ohne Applaus.
Ohne Pausenknopf.
Und genau deshalb ist es so wichtig, ehrlich mit Partner, Kindern und Freunden darüber zu sprechen –
weil das hier kein Zeichen von Schwäche ist,
sondern gelebte Realität.
Warum ich diesen Weg trotzdem liebe
Warum ich dennoch selbstständig bin – und bleibe?
Weil ich mein eigener Chef bin.
Und ja: Das ist nicht immer angenehm.
Aber ehrlich – ein Angestelltenverhältnis ist das auch nicht immer.
Es gibt keine Rose ohne Dornen.
Man muss nur wissen, welche Dornen man bereit ist zu akzeptieren.
Für mich heißt das:
Ich frage mich, was ich unbedingt möchte –
und was für mich auf keinen Fall infrage kommt.
Wenn es mehr „unbedingt ja“ als „sicher nicht“ gibt,
dann weiß ich: Dieser Weg passt für mich.
Und unterm Strich bin ich glücklich.
Dankbar.
Und froh, meine Werbeagentur weiter aufbauen zu dürfen –
ehrlich, Schritt für Schritt und auf meine Art.
Und Du?
Wenn du gerade darüber nachdenkst, selbstständig zu werden – oder bereits mittendrin steckst und dich manchmal fragst, ob das alles so gedacht war: Du bist nicht falsch. Du steckst nicht fest. Oft fehlt nicht Stärke oder Motivation, sondern Klarheit.

